Demokratisierung
und Marktwirtschaft in der VR China
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Inhaltsverzeichnis
1. Die VR China - ein
Sonderfall?
2. Demokratisierung und
Marktwirtschaft der VR Chinas im Spiegel der Ordnungsökonomik Walter Euckens
2.1 Die Ordnungsökonomik
Walter Euckens
2.1.1 Ordnungsbegriff
und Ordnungsformen
2.1.2 Interdependenz der
Ordnungen
2.2 Demokratie und
Marktwirtschaft
2.2.1 Demokratie
2.2.2 Marktwirtschaft
2.3 Analysen der
Interdependenzthese und des chinesischen Transformationsprozesses
2.3.1 Der chinesische
Weg des Transformationsprozesses
2.3.2 Die Bedeutung der
Interdependenzthese
2.3.3 kurzfristige
versus langfristige Gültigkeit der Interdependenzthese
3. Fazit und Perspektiven
4. Literatur
5. Autor
und Copyrighthinweis
1. Die VR China – ein Sonderfall?
Die
vorliegende Arbeit soll einen Einblick über die Anwendbarkeit der
Ordnungsökonomik Walter Euckens auf die VR China gewähren, um eine Antwort
darauf zu finden, ob eine Demokratisierung für einen erfolgreichen und
dauerhaften Wandel hin zu einer Marktwirtschaft notwendig ist. Dabei müssen
die spezifischen Komponenten des Transformationsprozesses in die Betrachtung
einbezogen werden, da man versucht, eine Theorie, die in einem bestimmten
historischen Umfeld entstanden ist, auf ein Land anzuwenden, dessen
Ausgangssituation in vielen Bereichen sehr unterschiedlich ausgestaltet ist.
Aus diesem Grunde möchte ich bei der Begriffsklärung auch auf Eigenheiten
der chinesischen Kultur eingehen.
Walter
Eucken, Professor der Nationalökonomie an der Universität Freiburg, war in
der Nachkriegszeit in Deutschland maßgeblich an der Ausgestaltung der
Wirtschaftsordnung beteiligt. An die Stelle der staatlich gelenkten
Kriegswirtschaft trat die soziale Marktwirtschaft. Um Inflation und
Massenarbeitslosigkeit zu verhindern, sah Walter Eucken die wichtigste
Aufgabe der staatlichen Wirtschaftspolitik in der Schaffung eines Systems
rechtlicher und institutioneller Regelungen, das den handelnden
Wirtschaftssubjekten, den Unternehmen ebenso wie den privaten Haushalten,
als Rahmen für ihre Dispositionen vorgegeben wird. Nach Professor Hax kann
eine mangelnde Interdependenz der Ordnungen, die weiter unten im Text
erklärt wird, negative Rückwirkungen auf die Leistungsfähigkeit einer
Wirtschaft, die Beschäftigung und den Wohlstand der Bürger eines Landes
haben.1
Die VR
China hat in den letzten 50 Jahren einen beachtlichen Wandel vollzogen: Nach
der Machtergreifung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im Jahre 1949
führte man die sozialistische Planwirtschaft ein und auf politischer Ebene
beschritt Mao Zedong einen Weg hin zur klassenlosen Gesellschaft
chinesischer Prägung. Der alleinige Herrschaftsanspruch der KPCh blieb dabei
bis heute erhalten. Wirtschaftliche Erfolge waren erst unter der
Nachfolgeherrschaft Deng Xiaopings zu verzeichnen, die einer Legimitation
der Machtausübung durch die KPCh dienen sollten. In der chinesischen
Geschichte gab es immer wieder Aufstände und politische Unruhen aufgrund der
Verarmung weiter Bevölkerungsschichten, was man als eine Missachtung der
ewigen Wahrheit durch die Herrschenden interpretierte. Mao Zedong gelang es
während seiner Regierungszeit nicht, eine dauerhafte Verbesserung der
wirtschaftlichen Situation herbeizuführen und es kam zu Unruhen. Obwohl die
KPCh nach außen monolithisch auftritt, besteht sie tatsächlich aus zwei
unterschiedlichen Fraktionen und die Pragmatiker unter der Führung Deng
Xiaopings führten ab dem Jahre 1979 marktwirtschaftliche und dezentrale
Elemente ein. Diesen in seinem Inhalt und Umfang umfassenden
Richtungswechsel der Politik innerhalb der KPCh deutet Wolfgang Schütze als
eine Wahlmöglichkeit der chinesischen Bevölkerung, um durch eine „Rebellion“
die Regierung zu stürzen. Es gab zwar keine Rebellion wie im Jahre 1911, als
man die Qing Dynastie stürzte und die Republik ausrief, und die KPCh blieb
weiterhin an der Macht, aber es vollzog sich innerhalb der Partei eine
Abkehr vom Maoismus hin zur Politik Deng Xiaopings und der seiner
Pragmatiker, die einen liberaleren Kurs verfolgten und eine neue
Wirtschaftspolitik betrieben.2
Die
Erfolge dieser Wirtschaftspolitik bis heute sind beeindruckend: 2003
erreichte das Bruttoinlandsprodukt die Summe von 1.200 Milliarden US-Dollar,
das Pro-Kopf-Einkommen der Chinesen beträgt heute umgerechnet rund 1.100
US-Dollar, das Wirtschaftswachstum ist in den vergangenen zwei Dekaden
jährlich um rund 8 Prozent gewachsen, die Exporte sind im Jahre 2003 auf 438
Milliarden US-Dollar gestiegen und die Devisenreserven belaufen sich derzeit
auf 403 Milliarden US-Dollar. Solange diese Erfolge auch in der Zukunft
bestand haben, könnte man meinen, dass die KPCh auch zukünftig die
Zustimmung der Bevölkerung haben wird.3
Diese Form
der Legitimation der Macht findet sich auch im Konfuzianismus. Der Herrscher
hat demnach den Untertanen gegenüber die Pflicht für deren Wohl Sorge zu
tragen. Erfüllt er diese Aufgabe unzureichend hat er das „Mandat des
Himmels“ verloren und legitimiert eine Rebellion um den Herrscher zu
entmachten.2 Die VR China hat zwar keine demokratische
Staatsform, enthält jedoch demokratische Elemente, auf die ich später näher
eingehen werde. Wir sind versucht unseren Begriff der Demokratie auf ein
Land mit sehr unterschiedlichen Wertvorstellungen zu übertragen. Eine
Übertragung von Demokratie westlicher Prägung ist aus folgenden zwei Gründen
problematisch: Erstens entwickelte sich Demokratie in der heutigen Form im
Kontext mit politischen Ereignissen und kulturellen Eigenheiten. Die
Ausgangssituation in China ist sowohl auf kultureller als auch politischer
Ebene sehr unterschiedlich im Vergleich zum Beispiel zu den USA oder Europa.
Da zweitens Demokratie an sich, wie ich weiter unten zeigen werde, nicht
explizit definiert ist und Demokratie nach unserem heutigen Verständnis erst
im Laufe der Zeit die heutige Ausgestaltungsform erlangte, ist anzunehmen,
dass eine Demokratie in China in anderer Form entstehen würde. In Taiwan hat
die Bevölkerung nun die Möglichkeit die Regierung direkt zu wählen und somit
die Politik direkt mitzugestalten. Dies zeigt zumindest, dass Demokratie in
China prinzipiell implementierbar ist. Der Fall Taiwan zeigt, dass eine
Demokratie nach westlicher Vorstellung in China denkbar ist, lässt jedoch
die Frage ungeklärt, ob die Marktwirtschaft in Taiwan auch ohne Einführung
der Demokratie funktionieren würde. Wie ich bereits dargelegt habe, fand
auch in der VR China eine Änderung in der Politik statt, was den
Transformationsprozess hin zur Marktwirtschaft zur Folge hatte. Es stellt
sich somit die Frage, welche Elemente der Demokratie nicht vorhanden, für
eine kontinuierliche Wirtschaftsentwicklung jedoch notwendig sind.
Die VR
China ist sicher ein besonderer Fall und man muss die spezifischen
Charakteristika bei der Betrachtung berücksichtigen. Nach einer etwas
näheren Betrachtung des Falles wird am Ende auf die Frage, ob China einen
Sonderfall darstellt, eine mögliche Antwort gegeben.
2. Demokratisierung und Marktwirtschaft der VR Chinas im Spiegel
der Ordnungsökonomik Walter Euckens
Die
Ordnungsökonomik Walter Euckens basiert auf Wechselwirkungen von politischer
und wirtschaftlicher Ordnung und zielt auf die Lenkung der alltäglichen
Wirtschaftsprozesse. Sie soll den Grundgedanken der Freiheit umsetzen und
gleichzeitig einer Vermachtung entgegenwirken. Viele Ökonomen sehen zu
mächtige Kartelle als Hauptgrund für die Wirtschaftskrise der 30er Jahre. In
der Forschung wird diese Ordnungsökonomik als Interdependenztheorie
bezeichnet.4
2.1.1 Ordnungsbegriff und Ordnungsformen
Die
Ordnungsökonomik Walter Euckens ist eine Wirtschaftsordnung, die dem Staat
einen Ordnungsrahmen zur Lenkung der Wirtschaft vorgibt, ohne in die
Wirtschaftsprozesse direkt einzugreifen. Die Ordnung kann dabei im Laufe der
Zeit entstehen, was man als positiv gegebene Ordnung (ordre positif)
definiert oder nach gewissen Ordnungsgrundsätzen festgelegt werden. Diese
wird nach Kriterien einer funktionstüchtigen, menschenwürdigen und gerechten
Ordnung gestaltet und entspricht somit der Natur des Menschen (ordre natural).5
Der Euckensche Ansatz umfasst zwei Idealtypen, die in der Realität in
miteinander vermischten Formen auftreten. Erstens die zentral geleitete
Wirtschaft und zweitens eine dezentral koordinierte Verkehrswirtschaft, bei
der die Preise durch Haushalte und Betriebe über Angebot und Nachfrage
bestimmt werden.6 Für die Analyse ist es deshalb wichtig welchem
der Idealtypen die größere Bedeutung zukommt.
2.1.2 Interdependenz der Ordnungen
Die
Interdependenz der Ordnungen postuliert einen engen Zusammenhang der
wirtschaftlichen Ordnung mit der Gesellschaftsordnung. Im Gegensatz zu
Schumpeter7 war Walter Eucken der Auffassung, dass die Wirtschaft
nicht losgelöst von der übrigen Gesellschaft betrachtet werden kann.
Wirtschafts- und Staatsordnung sollten nach gleichen Prinzipien gestaltet
sein. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob eine Marktwirtschaft
auf politischer Ebene ihre Entsprechung in der Demokratie bedarf, um
dauerhaft zu funktionieren. Die politische Lösung wirkt sich aber nicht nur
auf den ökonomischen Bereich aus, sondern wirkt sich durch die
Wechselwirkungen wiederum auf Gesellschaft und Politik aus. Weder
Wirtschaftsordnung noch Staatsordnung stellen das Fundament, auf dem alle
anderen Ordnungen aufbauen, stattdessen besteht eine Wechselwirkung zwischen
den Ordnungen, die Interdependenz der Ordnungen.8 Zu klären ist,
ob eine Demokratie, welcher Form auch immer, in der Gesamtheit als
Ordnungsrahmen oder welche Elemente der Demokratie notwendig sind um eine
funktionierende Marktwirtschaft zu ermöglichen.
2.2
Demokratie und Marktwirtschaft
Die
folgenden zwei Abschnitte sollen einen Zusammenhang von Demokratie und
Marktwirtschaft verdeutlichen und die jeweiligen Charakteristika dieser
Erscheinungsformen von Wirtschaftsordnungen offen legen. Dies wird den
nachfolgenden Ausführungen als Fundament dienen.
2.2.1 Demokratie
Unser
heutiges westliches Demokratiebewusstsein hat sich im Laufe der Zeit
entwickelt und dabei stehen die historischen Ereignisse unserer Geschichte
bei der Ausgestaltung der heutigen Form der Demokratie in engem
Zusammenhang. Der Begriff Demokratie ist nicht eindeutig definiert und
beschreibt in seiner ursprünglichen Bedeutung die „Herrschaft des Volkes“.
Die Staatsgewalt wird der Gesamtheit des Volkes zugesprochen, wobei
Ursprung, Umfang und Inhalt dieser Gewalt nicht definiert werden. Dieses
abstrakte Prinzip umschreibt Abraham Lincoln als „Regierung des Volkes durch
das Volk“. Der Wille des Volkes wird in den heutigen Demokratien durch
Wahlen bestimmt, garantiert jedoch nicht, dass die Ergebnisse der
Entscheidungsfindung notwendiger Weise gut sind. Da die Herrschaft der
Mehrheit nicht zwangsläufig dem Volkswillen entspricht und sogar bis hin zur
totalitären Gewalt führen kann, muss ergänzend die Herrschaft des Gesetzes
gelten. Montesquieu fügt noch die Gewaltenteilung hinzu, um die Umsetzung
der Demokratie durch gegenseitige Kontrolle zu garantieren.9
2.2.2 Marktwirtschaft
In einer
Marktwirtschaft wird die Allokation von Gütern dezentral durch Angebot und
Nachfrage bestimmt. Eine höchstmögliche gesamtwirtschaftliche Effizienz und
Versorgung der Marktteilnehmer wird durch die Preisbildung ermöglicht und
koordiniert auf diese Weise die autonom erstellten Pläne der
Einzelwirtschaften. Produktion und Konsumption richten sich nicht wie bei
der Subsistenzwirtschaft nur nach dem eigenen Bedarf oder wie bei der
Planwirtschaft nach zentral festgelegten Plänen. Für eine leistungsfähige
Marktwirtschaft sind folgende Vorraussetzungen bei gemeinsamer
Verwirklichung notwendig: Ein funktionierendes Preissystem regelt die
effiziente Verteilung Güter und Dienstleistungen und reduziert die Knappheit
der Güter auf ein Minimum. Wird Geld als Zahlungsmittel verwendet, dann ist
ein stabiler Geldwert von zentraler Bedeutung. Um allen Teilnehmern einen
Marktzutritt zu gewähren, sollte es keine Markteintrittsbarrieren geben, was
durch den Begriff Wettbewerbsfreiheit ausgedrückt wird. Hinzukommt die
Vertragsfreiheit, damit die Güter nach freier Entscheidung getauscht werden
können. Um die Stabilität und Rationalität im Entscheidungsprozess zu
erhöhen, muss das Haftungsprinzip gelten. Der Staat hat in diesem
Zusammenhang die Aufgabe, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu setzen. Erst
durch ein transparentes Rechtssystem, das für alle Marktteilnehmer gleichsam
gültig ist, können diese ihre Rechte durchsetzen und somit den Faktor
Unsicherheit kalkulierbarer werden lassen. Ferner empfiehlt Eucken eine
konstante Wirtschaftspolitik, um die Erwartungsbildung der
Wirtschaftssubjekte zu stabilisieren.10
2.3
Analysen der Interdependenzthese und des chinesischen
Transformationsprozesses
Nachdem
nun die theoretischen Grundlagen geklärt wurden, kann im folgenden Teil die
Anwendbarkeit der Interdependenztheorie geprüft werden. Dazu gilt es zu
klären, welche Eigenschaften das System der VR China charakterisieren und ob
eine funktionierende Marktwirtschaft auch ohne Demokratie möglich ist.
2.3.1 Der chinesische Weg des
Transformationsprozesses
Der folgende Abschnitt soll einen Einblick in den
Transformationsprozess der VR China ermöglichen und auf die besonderen
Eigenheiten dieses Wandels eingehen. Auf politischer Ebene hält die KPCh
ihren Anspruch die alleinige Regierungsgewalt inne zu haben aufrecht und
kontrolliert sämtliche Regierungs-, Militär- und Verwaltungsorgane.11
Oppositionsparteien werden von der KPCh geduldet, verfügen selbst aber über
keine politischen Machtmittel, sondern beschränken sich auf eine Kooperation
mit der Regierungspartei. Der Prozess der politischen Entscheidungsfindung
hat jedoch zunehmend einen konsultativen Charakter bekommen.
Expertenmeinungen, Interessen regionaler Verwaltungsorganisationen und
einzelne gesellschaftliche Gruppen werden von der Zentralregierung
berücksichtigt. 1997 existierten 160 000 registrierte Organisationen, die
aus Wirtschaftsverbänden, Selbsthilfegruppen und Vereinen bestehen. Einige
sind illegal, werden aber geduldet. Die Mehrheit dieser Organisationen wird
von der Regierung kontrolliert, soll aber staatliche Verwaltungsaufgaben
reduzieren und Freiräume für die Entwicklung einer modernen Marktwirtschaft
schaffen. Die einzige nennenswerte Veränderung, die demokratische Tendenzen
erkennen lässt, sind die Wahlen auf Dorfebene. Zum einen behoben die Wahlen
den schlechten Zustand der örtlichen Parteigruppen und lokalen
Verwaltungsorgane, zum anderen schuf man für die ländliche Bevölkerung eine
Möglichkeit ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Seit 1997 werden
die Dorfwahlen landesweit durchgeführt: Die Kandidaten werden durch die
Dorfbewohner aufgestellt, die Anzahl der Kandidaten muss die der Mandate
übertreffen, die Abstimmung erfolgt geheim und Manipulationen sollen
administrativ höheren Organen berichtet werden. Eine Ausweitung dieser
Prozedere auf höhere administrative Ebenen ist jedoch nicht zu erwarten.12
Dass die KPCh sich keineswegs auf demokratische Reformen einlässt und keine
Kritik toleriert, erkennt man auch an deren Umgang mit dem Medium Internet.
Hier werden Informationen kontrolliert und gezielt zensiert. Internetseiten
chinesischsprachiger Medien im Ausland, die Mehrzahl der Seiten mit
religiösem Inhalt, Tabuthemen wie Tibet und Taiwan, Amnesty International
und Menschenrechtsorganisationen aller Art, Internetseiten, die ausführlich
die Rechtssysteme Großbritanniens oder der USA beschreiben und kritische
Nachrichten ausländischer Medien wie BBC, Reuters oder CNN werden gesperrt
oder z.B. durch Artikel einer kommunistischen Tageszeitung ersetzt.13
Während die politische Ordnung unvermindert zentral organisiert ist,
befindet sich das wirtschaftliche System in einem Wandel zu
marktwirtschaftlichen Formen. Zeichen dieses Prozesses sind die immer
größere Anzahl privater Unternehmen, die Schließung von Staatsunternehmen
oder deren Privatisierung, die Entkollektivierung der Landwirtschaft, eine
allmählich dezentrale Steuerung der wirtschaftlichen Prozesse und der
Zuwachs von Auslandsinvestitionen. Während man in bestimmten Bereichen an
der Planwirtschaft festhielt, überließ man die Koordination anderer Bereiche
dem Markt. Durch diese Koexistenz von Plan- und Marktwirtschaft leitete man
kontrollierbare Reformen ein.14 Man sah bald ein, dass
Privatbetriebe einem zentralistisch organisiertem System ökonomisch
überlegen sind, da Privatbetriebe Ressourcen effektiver einsetzen als dies
zentralistische Systeme tun. Nach Schätzungen erwirtschaften ca. zwei
drittel der Staatsunternehmen Verluste und die Sicherung der Alten- und
Krankenversorgung sowie andere soziale Dienste können nicht mehr
gewährleistet werden.13 Die Folge sind große Unsicherheiten und
Unmut, die sich in der Bevölkerung verbreiten. Die Umwandlung
beziehungsweise Auflösung von Staatsbetrieben führt auf der einen Seite zur
Entlastung des Staatshaushaltes, auf der anderen Seite verschärfen sich
soziale Disparitäten zwischen reicher Mittel- und Oberschicht und den durch
diesen Prozess benachteiligten Bevölkerungsschichten. Für die Bauern wurden
Anreize geschaffen ihre Produktion nach wirtschaftlichen Kriterien zu
gestalten, deren Einkommen entwickelten sich jedoch nur unwesentlich.
Wesentliches Merkmal der Dezentralisierung der wirtschaftlichen Macht ist
eine stärkere föderale Struktur. Wirtschaftliche Entscheidungen wurden von
der Zentrale auf politisch niedrigere Ebenen, wie zum Beispiel Provinz- und
Regionalverwaltungen übertragen, um somit Freiraum für Experimente zu
schaffen. Die „ideologische Linientreue“ wich Kriterien des wirtschaftlichen
Erfolges und den Beamten wurde bei erfolgreicher Umsetzung ihrer Strategien
eine Beförderung in Aussicht gestellt. Die dezentralere Steuerung wird
deutlich in der internationalen Öffnungspolitik durch die Errichtung von
Sonderwirtschaftzonen, der Umsetzung des Joint-Venture-Gesetzes oder
dezentral gesteuerten Kapitalinvestitionen. Die Schaffung von Privateigentum
förderte unter anderem Kapitalinvestitionen aus dem Ausland. Der rechtlichen
Sicherung von Privateigentum mangelt es jedoch im Vergleich zu westlichen
Standards an Durchsetzbarkeit und Transparenz.15
Die
beachtlichen wirtschaftlichen Erfolge habe ich bereits genannt, gleichzeitig
gab es aber auch negative Auswirkungen: Es entstanden große
Einkommensunterschiede zwischen den Küstenregionen (insbesondere Städte) und
dem Landesinneren, eine steigende Arbeitslosigkeit, geringe Lohnkosten und
Korruption. Um dem Ansehensverlust der Partei durch die Korruption
entgegenzuwirken, decken Kontrollorgane der KPCh regelmäßig Skandale auf,
jedoch gelingt es nicht, diese Netzwerke durch die durchgeführten Sanktionen
aufzulösen. Erfolge lassen sich eher an einem gesteigerten Ansehen in der
Öffentlichkeit erkennen, als dass dadurch Korruption effektiv bekämpft
werden konnte. Die Beseitigung dieser Missstände stellt für die Regierung
eine große Herausforderung dar und ist für den Erhalt des hohen
Wirtschaftswachstums von entscheidender Rolle.16 Bei der Suche
nach Lösungsansätzen könnte man überlegen, welche Vorteile eine Demokratie
auf politischer Ebene für eine dauerhafte Wirtschaftsentwicklung hin zu
einer leistungsfähigen Marktwirtschaft langfristig hat. Zuerst soll jedoch
geklärt werden, welche Bedeutung der Interdependenzthese Walter Euckens bei
einer Überprüfung der Anwendbarkeit auf China zukommt.
2.3.2 Die
Bedeutung der Interdependenzthese
Der
Bedeutung der Interdependenzthese sind durch mehrere Faktoren in ihrem
Umfang Grenzen gesetzt. Je nachdem wie explizit man Demokratie und
Marktwirtschaft definiert, ergeben sich mehr oder weniger
Kombinationsmöglichkeiten zwischen den Organisationsformen eines Staates und
dessen Wirtschaft. Setzt man z.B. für die Demokratie die Kriterien freie
Wahlen (ja/nein) und Gewaltenteilung (ja/nein), für die wirtschaftliche
Ebene Preisbildung (durch Märkte oder durch Pläne) und Vertragsfreiheit
(ja/nein), so ergeben sich bereits 16 Möglichkeiten von Kombinationen aus
Demokratie und Marktwirtschaft. Wie man unschwer erkennt, hängt die
Gültigkeit der Interdependenzthese folglich von der Tiefe der Definition der
politischen und wirtschaftlichen Institution ab. Es ist fraglich, ob
Demokratie in vollständigem Umfang vorliegen muss, um eine Marktwirtschaft,
wie sie im vorhergehenden Kapitel beschrieben wurde, funktionsfähig zu
halten oder ob es Kombinationen geben kann, bei denen einzelne Kriterien
nicht notwendigerweise gegeben sein müssen. Diese Frage wird man nicht mit
Sicherheit beantworten, Schwarz geht aber bei einer solchen Vielzahl an
Kombinationsmöglichkeiten davon aus, dass die Interdependenz zwischen
wirtschaftlicher und politischer Ordnung aufgehoben wird17 und
verweist auf Beispiele wie Chile, wo weitgehend Marktwirtschaft bei
gleichzeitiger Autokratie herrschte.18
Auf der
anderen Seite gibt es neben positiven auch negative Wechselwirkungen
zwischen Demokratie und Marktwirtschaft. Es können sich im Laufe der Zeit
organisierte Interessengruppen bilden, die versuchen ihre Macht auf
Politiker auszuüben. Auf diese Weise können sich Partikularinteressen
entgegen dem Gesamtinteresse durchsetzen und wirken sich schädlich auf die
Leistungsfähigkeit einer Marktwirtschaft aus.19 Diesen Prozess
nennt man Demokratieversagen und kann zu einer beständigen Zunahme der
Staatsquote am Volkseinkommen führen. 20
Ein
weiteres limitierendes Kriterium sind die gesellschaftlichen Subsysteme, die
Rückwirkungen auf ökonomische und politische Entwicklung verursachen. Wenn
man den westlichen Begriff der Demokratie auf die VR China übertragen
möchte, dann sollte man sich bewusst sein, dass eine vollständige
Transformation der Gesellschaftsordnung inklusive aller Wert- und
Normvorstellungen hin zu einer westlichen Demokratie in China ausgeschlossen
ist. Ein limitierender Faktor ist laut Hu der Konfuzianismus. Es gibt einige
Parallelen zwischen Konfuzianismus und Demokratie, z.B. ist im „Mandat des
Himmels“ die Aufgabe des Herrschers für das Wohl des Volkes Sorge zu tragen
enthalten. Auch der Konfuzianismus betont die Tugendhaftigkeit der
Staatsbürger, Güte, Selbstdisziplin und gegenseitigen Respekt.21
Jedoch gibt es einige Unterschiede, die eine vollständige Übertragung der
Demokratie problematisch erscheinen lassen. Das westliche Menschenbild
unterstellt dem Menschen eine negative Seite, während Konfuzius dem Menschen
bei der Geburt eine Rechtschaffenheit zugesteht. Die ausgeprägte
Verbundenheit den Eltern gegenüber steht dem westlichen Wert der
Individualität entgegen. Ferner entstand in westlichen
Gesellschaftsordnungen aufgrund von gleichen Rechten für alle ein
detailliertes Rechtssystem. In der chinesischen Gesellschaft gibt es
hingegen eine Rangordnung, die die Menschen in höher und niedriger gestellte
Menschen unterteilt und ein Rechtssystem nicht notwendig werden ließ. Dieses
und das Konzept von Harmonie führten in der chinesischen Gesellschaft zu
einer geringeren Austragung von Konflikten. In der westlichen Welt werden
Konflikte offener ausgetragen und dies räumt Gesetzen eine größere Bedeutung
ein. Ein weiterer negativer Effekt der ausgeprägten Familiensolidarität
könnte ein geringerer gesellschaftlicher Zusammenhalt sein. Häufig treten
Ineffizienz und Korruption auf, jedoch findet man auch in westlichen
Gesellschaften Beispiele dieses Kritikpunktes. Es ließen sich noch weitere
gesellschaftliche Traditionen finden, die eine Übertragung des westlichen
Demokratiebegriffs limitieren. Hu stellt sich letztlich gegen die These, der
Konfuzianismus sei anti-demokratisch und somit könne die Interdependenz der
Ordnung könne in China nicht greifen. Er ist der Meinung, der Konfuzianismus
sei am ehesten a-demokratisch.22
Schließlich stellt sich noch die Frage nach dem Gleichgewicht zwischen
Demokratie und Marktwirtschaft. Im Falle Chinas würde die Marktwirtschaft
eine dominantere Stellung einnehmen, aber nicht unbedingt zu einer
Demokratie führen. Dass Marktwirtschaft eine notwendige jedoch keine
hinreichende Bedingung für eine Demokratie ist, belegen zahlreiche
Beispiele, bei denen Autokratie und Marktwirtschaft miteinander existierten.
Daraus kann gefolgert werden, dass Demokratie günstig für das (Fort-)Bestehen
einer Marktwirtschaft ist, aber nicht unbedingt für deren Entstehung
notwendig ist.23 Bei einem Prozess der Transformation von einer
Planwirtschaft hin zu einer Marktwirtschaft entstehen soziale Kosten, wie
offene Arbeitslosigkeit, Zwang zu beruflicher Neuorientierung und führen zu
Widerstand innerhalb der Bevölkerung. Wäre ein solcher im Wandlungsprozess
befindlicher Staat durch eine demokratische Ordnung organisiert, würden sich
die Politiker auf Maßnahmen einigen, die eine Wiederwahl wahrscheinlicher
machen würde. Da Demokratien die Gefahr bergen Reformen nicht zuzulassen,
erscheinen autoritäre Regime für einen Übergang der Wirtschaftsordnung
Vorteile innezuhaben. So ist auch Gerhard Schwarz´s Aussage zu verstehen,
dass „im konfuzianischen Asien vielleicht ein autoritäres Regime das einzig
Richtige ist, um eine Marktwirtschaft aufzubauen – und in Europa nicht“,
denn für die Transformation zu einer Marktwirtschaft muss in einer
Demokratie auf Partikularinteressen Rücksicht genommen werden und verhindert
somit Entscheidungen einer für die Transformation notwendigen
Schocktherapie.24
Anscheinend hat die Interdependenztheorie bei ihrer
Anwendung auf den Fall China eine beschränkte Aussagekraft, die lediglich
Extremkombinationen ausschließt beziehungsweise Rückschlüsse auf die
Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft in China zulässt. Zu diesem Schluss
kommt man, wenn man die vielen möglichen Kombinationsmöglichkeiten zwischen
Erscheinungsformen der Demokratie und Marktwirtschaft (Definitionstiefe),
die kulturelle Dimension (chinesische Variante der Demokratie) und das
Demokratieversagen in die Betrachtung einbezieht.24
Der folgende Abschnitt soll aufzeigen, welche Vorteile
eine Demokratie anstelle der Autokratie für die wirtschaftliche Entwicklung
in China haben könnte.
2.3.3 kurzfristige versus langfristige
Gültigkeit der Interdependenzthese
Der bisherige Erfolg des Wirtschaftswandels Chinas ist
offensichtlich und untermauert die These, dass zumindest kurzfristig die
Konstellation, wie sie in der VR China beobachtbar ist, durchaus zum Erfolg
führen kann. Unter den Wissenschaftlern herrscht hingegen keine Einigkeit
darüber, wie dieser Erfolg zu erklären ist. Ebenso unsicher ist die
zukünftige Entwicklung, gibt es doch sehr viele Herausforderungen, die für
ein kontinuierliches Wirtschaftwachstum wichtig sind. Neben Anpassungen
durch den strukturellen Wandel (Landwirtschaft und WTO-Beitritt), die
Verwirklichung eines vertrauenswürdigen Rechtssystems, der Reform des
Bankensektors, der hohen Staatsverschuldung, die Verminderung der großen
Einkommensdisparitäten existieren Arbeitslosigkeits-, Infrastruktur- und
Umweltprobleme. Chinas Wirtschaft hat bis zum Erreichen einer
Marktwirtschaft noch einen weiten Weg, dabei stellt sich die Frage, ob diese
ohne Demokratie auf politischer Ebene erricht werden kann beziehungsweise
nur mit einer Entsprechung im Sinne einer Demokratie Bestand haben kann.
Ebenso wie man diese Frage nicht eindeutig beantworten kann, lässt sich der
zeitliche Horizont schwer eingrenzen. Je nachdem welchen Zeitraum man mit
dem Begriff „langfristig“ assoziiert, wird man sehr unterschiedliche
Antworten auf eine mögliche zukünftige positive Wirtschaftsentwicklung
erhalten. Der Transformationsprozess hin zum Endzustand einer tatsächlichen
Marktwirtschaft (welcher Form auch immer) würde sicher noch viele Jahre
andauern. Es lassen sich aber zumindest einige positive Zusammenhänge einer
Marktwirtschaft und einer gleichzeitigen Demokratie festhalten, die eine
günstige Konstellation dieser beiden Organisationsformen begründen.
In China besteht ausschließlich zwischen den Bürgern
Rechtssicherheit und dies auch nicht immer in vollem Umfang. Somit ist die
Erwartungssicherheit der Bürger geringer als in einer Demokratie, in der die
Regierung von einer unabhängigen Justiz überwacht wird.25 Eine
relativ geringe Erwartungssicherheit drückt sich nach Yan-ling in folgenden
Grundsätzen aus: Die Staatseinheit ist unantastbar, die Tendenz der
Regierung Vertrauen zu schenken anstatt sie selbst zu kontrollieren und
einem Desinteresse der Mehrheit der Bevölkerung an Politik.26
Auch die chinesische Gesellschaft befindet sich in einem Wandel, materielle
Werte und eine kritische Betrachtung der Parteiideologie sind immer mehr
verbreitet. Die Kontinuität in der politischen Führung ist in Demokratien
gewährleistet, während Autokratien bezüglich der Nachfolge eine Unsicherheit
innehaben. Dies stellt einen weiteren Vorteil dar, den Demokratien für die
wirtschaftliche Entwicklung bieten, da Unsicherheiten wirtschaftliche
Entwicklung behindern.27 Doch auch hier wird der Wandel
ersichtlich, führt nach Heilmann eine Schwächung der Kontrollstrukturen und
die Einbeziehung außerstaatlichen Vereinigungen, wie weiter oben im Text
bereits erwähnt, zu einem politischen und gesellschaftlichen Pluralismus.
Ferner werden Ressourcen in Autokratien weniger effektiv
eingesetzt. Ein nicht reguliertes Monopol politischer Macht führt zu einer
Bevorzugung bestimmter Interessengruppen und zu einem geringeren Angebot an
öffentlichen Gütern.25 In China tritt anstelle eines
ideologischen Herrschaftsanspruches ein eher materialistisch orientierter
Anspruch der KPCh. Um diesen Herrschaftsanspruch aufrecht zu erhalten müssen
wirtschaftliche Renten an Anhänger gezahlt werden, die die Politik der KPCh
unterstützen. Nach Olson sind diese Zahlungen vergleichsweise höher, da das
Risiko des Herrschaftsverlustes in einer Autokratie und die Möglichkeit
eines dauerhaften Ausschlusses größer ist.28
Ein weiteres Argument für einen positiven Zusammenhang
von Demokratie und Marktwirtschaft liefert Starbatty, demnach im Verlauf des
Transformationsprozesses die Politiker- zur Konsumentensouveränität
wechselt. Um dem mündigen Bürger wie in der Demokratie die Möglichkeit zu
geben, souverän und eigenverantwortlich agieren zu können, wird Staats- bzw.
Kollektiveigentum in Privateigentum übertragen. Umso geringer der staatliche
Einfluss auf Produktion und Verteilung ist, desto größer wird der Spielraum
individuelle Interessen zu verfolgen um somit die gesamtwirtschaftliche
Leistungsfähigkeit zu erhöhen.29
Die eben genannten Gründe zeigen Vorteile, die eine
Demokratie gegenüber einer Autokratie für das Funktionieren einer
leistungsfähigen Marktwirtschaft hat. Die Argumente, die von Olson
aufgeführt werden, bilden eine gute Basis. Es stellt sich jedoch zum einen
die Frage, ob sich nicht noch mehr Ansatzpunkte für einen positiven
Zusammenhang finden ließen, zum anderen muss man die Nachteile einer
Demokratie beziehungsweise die Vorteile, die eine Autokratie gegenüber einer
Demokratie besitzt, berücksichtigen. Die derzeitigen Erfolge der
chinesischen Wirtschaft und die von Schwarz angeführte These, dass
autokratische Regime notwendige, aber schwer zu vermittelnde Entscheidungen
im Zuge einer unumgehbaren Schocktherapie kompromisslos fällen und über
längere Zeiträume durchhalten zu können, lassen eine Vorteilhaftigkeit einer
Autokratie gegenüber einer Demokratie im Wandlungsprozess von einer Plan-
zur Marktwirtschaft vermuten.30
3. Fazit und Perspektiven
Man kann
erkennen, dass eine eindeutige Antwort auf die Anwendbarkeit der
Interdependenzthese Walter Euckens auf den Transformationsprozess der VR
China schwierig ist. Die VR China befindet sich auf dem Weg die
wirtschaftlichen Prozesse durch eine Marktwirtschaft zu koordinieren, bis
zum Erreichen einer Wirtschaftsordnung westlichen Standards bedarf es noch
der Realisierung einiger Punkte, während man auf politischer Ebene den
alleinigen Herrschaftsanspruch der KPCh aufrecht hält. Diese Konstellation
scheint sich nicht nur in der Praxis als erfolgreich zu erweisen, sondern
wird, wie bereits erwähnt, von Streissler als für den Wandlungsprozess
vorteilhaft eingeschätzt.
Langfristig ist eine Kombination von Marktwirtschaft und Demokratie die
günstigere Konstellation, da die für eine optimal funktionierende
Marktwirtschaft notwendigen Prinzipien in der Demokratie eine große
Bedeutung haben und dort am ehesten realisiert werden können.31
Gelänge es der KPCh Wettbewerbspreise zu garantieren, eine konstante
Wirtschaftspolitik zu betreiben, das Preisniveau stabil zu halten, einen
freien Marktzugang zu ermöglichen, Vertragsfreiheit zu gewährleisten,
Privateigentum zu schützen und die Verantwortlichkeit durch das
Haftungsprinzip zu regeln, ohne auf politischer Ebene eine Demokratie
einzuführen, dann wären die von Eucken formulierten konstituierenden
Prinzipien, die er für das Funktionieren einer Marktwirtschaft für notwendig
erachtet, erfüllt.32 In einer solchen Situation würde die
Verteilung der Güter ähnlich wie in westlichen Demokratien durch den Markt
koordiniert und der staatliche Einfluss wäre gering. Um jedoch
Eigentumsrechte auch zwischen Staat und Bürgern zu schützen, ist sowohl die
rechtliche Absicherung als auch deren Kontrolle durch unabhängige
Institutionen notwendig. Da es in der VR China weder die Gewaltenteilung
noch eine Opposition gibt, die diese Rolle übernehmen könnten, ist meiner
Meinung nach ein vollständiger Wandel zur Marktwirtschaft unter der jetzigen
politischen Ordnung nur bei Reformen auf Politikebene unter Aufgabe weiterer
Machtbereiche möglich. Festzuhalten bleibt jedoch, dass Demokratie nicht
notwendigerweise die Einführung einer Marktwirtschaft erleichtert. Umgekehrt
hält Schwarz Marktwirtschaft als notwendige Vorraussetzung für Demokratie,
da allein in einer Marktwirtschaft Freiheit in Form von Privateigentum
umgesetzt wird und das Haftungsprinzip als systeminhärenter Bestandteil
integriert ist.33
Man kann
ferner annehmen, dass die Individuen neben ihrer wirtschaftlichen Freiheit
langfristig auch ihre politische Mitsprache fordern werden und somit einen
Wandel des politischen Ordnungsrahmens auslösen könnten. Allerdings ist
anzumerken, dass der Freiheitsbegriff im Sinne der individuellen Freiheit in
der chinesischen Gesellschaft einen geringeren Stellenwert als in westlichen
Demokratien einnimmt. Ein Bewusstsein für die individuelle Entfaltung ist
erst in den letzten Jahrzehnten erwachsen.
Auch eine
Eingrenzung des zeitlichen Betrachtungshorizontes ist nicht einfach und
lässt die Möglichkeit offen, dass das Machtmonopol der KPCh noch über
Jahrzehnte Bestand haben kann. In diesem Zusammenhang spielt der Rückhalt
der Regierung in der Bevölkerung eine wichtige Rolle: Solange die
Entscheidungen der Regierenden sich positiv auf große Teile der Bevölkerung
auswirken, ist es letztlich zum Wohle des Volkes und erfüllt auf diese Weise
einen wichtigen Bestandteil von Demokratie.
Der
letztendliche Beweis, der nur durch die Empirie geführt werden kann, bleibt
abzuwarten, ließe jedoch im Falle eines Scheiterns der Wirtschaftspolitik
der KPCh nicht den Schluss zu, dass eine Marktwirtschaft in jedem Falle ihre
Entsprechung in einer Demokratie bedarf. Auch wenn das derzeitige
Wirtschaftswachstum einen positiven Zusammenhang von Marktwirtschaft und
Demokratie nicht signalisiert, ist aus den oben genannten Gründen eine
leitungsfähigere Marktwirtschaft in einer Demokratie zu erwarten, als dies
in einer Autokratie der Fall wäre. Dies gilt jedoch nicht für den Zeitraum
in dem sich die Wirtschaft Chinas im Wandlungsprozess befindet, sondern erst
für einen Zeitpunkt danach. Abschließend kann die Aussagekraft der
Interdependenzthese für einen positiven Zusammenhang von Demokratie und
Marktwirtschaft bestätigt werden. Die Ordnungsökonomik Walter Euckens
beschreibt eine Wechselwirkung zwischen der politischen und wirtschaftlichen
Ordnung, wobei keiner der beiden Teile die Basis für den anderen Teil stellt
und auch die Kombination von Marktwirtschaft und Demokratie nicht das
optimale Funktionieren der Marktwirtschaft garantiert. Die
Leistungsfähigkeit einer Marktwirtschaft hängt darüber hinaus von der
jeweiligen Ausgestaltung der beiden Formen ab. Die Schlussfolgerung, dass
Chinas Marktwirtschaft notwendiger Weise einer Demokratie bedarf, kann
hingegen nicht gezogen werden.34 Es ist letztlich nicht
voraussehbar, welche Entscheidungen die KPCh in der Zukunft treffen wird,
dies ist jedoch für die Qualität des Wirtschaftswachstums von zentraler
Bedeutung und entscheidend für einen erfolgreichen Wandel zu einer optimal
funktionierenden Marktwirtschaft.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass die Ordnungsökonomik Walter
Euckens gut geeignet ist, statische Analysen durchzuführen. Sie kann sehr
gut den Zusammenhang oder die Wechselwirkung von verschiedenen
Ordnungsformen aufzeigen. Für die Beschreibung des Transformationsprozesses
selbst eignen sich Ansätze der Neuen Institutionenökonomik oder der
evolutorischen Ökonomik, wie sie zum Beispiel von Hermann-Pillath
beschrieben werden, besser.
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http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID3869082_NAV_REF1,00.html,
Stand:10.12.2004
---------------------------------
1http://www.kas.de/proj/home/pub/37/1/year-2004/dokument_id-5265/,
Stand: 4.12.2004
2Schütze Wolfgang, China im Wandel, Freie Marktwirtschaft
und Herrschaft der Partei, AC.BE.CH.-Verlag GmbH, Lüneburg, 1995, S.8ff.
3http://www.eds-destatis.de/de/publ/download/lp_china.pdf,
Stand: 28.12.2004
4http://www.kas.de/proj/home/pub/37/1/year-2004/dokument_id-5265/,
Stand: 4.12.2004
5Eucken Walter, Grundlagen der Nationalökonomie, Springer
Verlag, Heidelberg, 1989, S. 51, S. 239
6Eucken Walter(1989), S. 78ff.
7Schumpeter Joseph A., Kapitalismus, Sozialismus und
Demokratie, A. Francke Verlag Tübingen und Basel, Tübingen, 1993, S. 451
8Eucken Walter, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Edith
Eucken und K. Paul Hensel (Hrsg.), Tübingen, 1990, S. 180ff.
9Schwarz
Gerhard, Limitations to the Interdependence of Systems, in: Dopfer, Kurt /Raible,
Karl F. (Hrsg.), The evolution of economic systems, London, 1990, S.77
10Walter
Eucken (1990), S. 254ff.)
11Xiu
Yan-ling, Der chinesische Weg zur Modernisierung – Probleme und
Perspektiven, Dissertation, Kassel, 1998, S.89ff.
12http://www.chinapolitik.de/studien/china_analysis/innenpolitik_china.pdf,
Stand: 10.12.2004
13http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID3869082_NAV_REF1,00.html,
Stand: 10.12.2004
14Xiu
Yan-ling, S. 36
15
http://www.chinapolitik.de/studien/china_analysis/innenpolitik_china.pdf,
Stand: 10.12.2004
16Herrmann-Pillath Carsten, China: Paradoxe Transformation
oder Modell?, Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und
internationale Studien, 3, 1993, S.3ff.
17Schwarz Gerhard, Marktwirtschaftliche Reform und
Demokratie – eine Hassliebe?, ORDO, Bd.43, S.65-90, 1992, S.
69
18Schwarz Gerhard (1990), S. 34
19Walter Eucken (1990), S. 328
20Schwarz Gerhard (1992), S. 76ff.
21Hu
Shaohua, Confucianism and Western democracy, in: Zhao, Suisheng (Hrsg.),
China and Democracy, The Prospect for a Demokratic China, New York/London,
2000, S.
58
22Hu
Shaohua, S. 62
23Hayek von Friedrich A., Der Weg zur Knechtschaft, 3.
Auflage, DTV, München, 1976, S. 98
24Schwarz
Gerhard (1992), S. 76ff
25Olson
Mancur, Macht und Wohlstand kommunistischen und kapitalistischen Diktaturen
entwachsen, Mohr Siebeck, Tübingen, 2002, S. 49ff.
26
Xiu Yan-ling, S. 77f.
27
Olson Mancur, S. 41ff.
28
Olson Mancur, S. 133ff.
29 Starbatty Joachim,
Anmerkungen zur Interdependenz politischer und wirtschaftlicher Ordnungen im
Transformationsprozess, ORDO, Bd. 47, S.33-50, 1996, S. 33ff.
30
Streissler Erich, Soziale Marktwirtschaft und Demokratie
– Die ökonomischen Aspekte, in: Ludwig-Erhard-Stiftung e.V. Bonn (Hrsg.),
Bd. 28, S. 7-28, 1990, S. 78
31Andreae Clemens-August, Demokratie und Marktwirtschaft,
ein Kuppelprodukt?, in: Demokratie und Marktwirtschaft, informedia-Stiftung,
Köln, 1989, S. 18ff.
32
http://www.kas.de/proj/home/pub/37/1/year-2004/dokument_id-5265/, Stand:
4.12.2004
33 Schwarz Gerhard (1992), S. 76
34Schwarz
Gerhard (1992), S. 76
5. Autor und
Copyrighthinweis
Dieser Beitrag wurde von
Markus
Schilling im Rahmen einer Seminararbeit am Institut für
Wirtschaftswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg im Wintersemester 2004 / 2005
erstellt.
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Der Autor Markus Schilling, geboren am 25. Februar 1977 in Nürnberg,
studierte Sinologie, Wirtschaftswissenschaften und politische
Wissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen, wo er
im Sommer 2006 sein Studium mit dem Magister Artium abschloss. Während
langfristiger Studienaufenthalte in Taiwan im Rahmen des Taiwan
Scholarship Program studierte er Politische Wissenschaften an der
National Sun-Yatsen University und beschäftigte sich mit Problemen der
Taiwanesischen Gesellschaft. Derzeit promoviert er im Rahmen des Taiwan
Scholarship Program an der National Chenggong University am Institut für
Politische Wirtschaftswissenschaften. Studienschwerpunkte sind
Systemtransformation, Umweltpolitik, Makroökonomie und Taiwan. |
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chinaweb.de, Dezember 2006
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